Cornelius Quabeck


VERY RECENT PAINTINGS

September 8  -  October 13, 2012


 

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Cornelius Quabeck



VERY RECENT PAINTINGS



Längsstreifen machen queer!

Als ich mich im Jahr 1999 für ein einjähriges Masterstudium am Chelsea College of Art and Design in London einschrieb, hatte ich vorher vier Jahre Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert, drei davon bei dem Maler Jörg Immendorff.
Der Leiter des MA/Fine Art in London war ebenfalls ein, vor allem im Kollegenkreis in England, sehr geschätzter Maler und Lehrer, den ich mehr oder weniger direkt von Anfang an mit Fragen bestürmte und mit ihm über meine Bilder reden wollte.
Ich hatte in der Bibliothek der Schule zwei kleine Kataloge mit seinen Arbeiten gesehen. Brian Chalkley, so sein Name, posierte mit schwarzer Lederjacke vor großen schwarzen Leinwänden und es hieß, er sei befreundet mit Jonathan Lasker und Sean Scully.
Blöderweise schien er kein Interesse daran zu haben mit mir über Malerei zu reden oder sich überhaupt mit mir als Student näher zu befassen und das, obwohl er sich bei meiner viel zu späten und unvollständigen Bewerbung sehr dafür eingesetzt hatte, dass ich trotzdem an der Schule studieren durfte.
Was ich nicht wusste war, dass dieser Lehrer sich, kurz bevor ich nach London kam, völlig neu orientiert hatte. Er hatte seit langer Zeit das Gefühl gehabt, dass er als Künstler nur ein Bild von etwas zu verkörpern versuchte, was sich mit ihm und seiner Persönlichkeit viel zu wenig deckte. Die Diskrepanz zwischen dem, wie er von anderen gesehen wurde und seinem Selbstbild war für ihn unerträglich geworden. Seine Lösung bestand darin, dass er sich neu erfand. Er tat das auf sehr interessante Art und Weise, indem er sich eine neue Identität mit neuem Namen schuf, neben der die alte Identität des Malers und Lehrers weiterbestehen konnte.
Als Dawn Chalkley war er ein Transgender-Artist, der sich in Frauenkleidern in der Öffentlichkeit bewegte, Clubs aufsuchte, sexuelle Abenteuer erlebte und diese Erlebnisse dann in künstlerischen Performances nacherzählte und beschrieb. Diese Erfahrung einer neuen, nicht zuletzt auch künstlerischen Identität empfand er als so sehr befreiend, dass er in seiner "alten" Person als Lehrer von da an auch seine Studenten sehr genau danach befragte, ob sie mit ihren künstlerischen Vorstellungen denn einen eigenen Weg verfolgten oder sich nur in den gängigen Klischees vom Künstlertum und Kunstwerk verstrickten.

Im Rahmen eines postgraduierten Master-Kurses mit über sechzig Studenten, von denen sich sicherlich mehr als ein Drittel explizit für Malerei beworben hatte, muss es für einige mehr als überraschend gewesen sein, dass ihr Lehrer sie nun fragte, ob denn Malerei überhaupt das geeignete Medium ihrer Wahl sei. Es waren jedoch nicht wenige, die noch während des ersten Trimesters plötzlich zu einer anderen Form der künstlerischen Arbeit fanden, oftmals mit einem stärkeren Bezug zu ihrer sozialen Herkunft oder einem Fokus auf das "Eigentliche", das persönliche Interesse an Kunst.
Um das etwas verständlicher zu machen, will ich kurz ein Beispiel geben: Ein Student kam, ursprünglich aus einer Arbeiterfamilie in Manchester, zum Studium nach London und brachte in den ersten Tagen des Studiums eine riesige Leinwand mit ins Atelier, die er auf den Boden legte und auf ihr mit einem Hammer verschiedene kleine Steine zerschlug, die dann rötliche und bräunliche Flecken hinterliessen, die er wiederum mit zusätzlichen Bezeichnungen markierte.
Einige Wochen später, nach einigen Gesprächen mit dem Lehrer und verschieden Tutoren, war es derselbe Student, der nun an einem Schreibtisch neben meiner Atelierecke saß, mit Kugelschreiber einfache Zeichnungen von Wohnhäusern und Schauplätzen aus seiner Kindheit und Jugend anfertigte und dabei kurze Geschichten, mit starkem Manchester-Akzent gefärbt, als Tonaufnahmen produzierte.

Ich allerdings, der gerade ein großes Foto von Liv Tyler aus einem englischen Modemagazin abmalte und dazu dann kleine Figuren, die mir selber ähnelten und die ich um die Gulliver-große Liv tanzen ließ, ich wurde vom Lehrer an einen anderen Tutor verwiesen, den manche als Erbsenmaler bezeichneten.
Wir kamen nicht gut miteinander zurecht, der Erbsenmaler und ich. Er bemühte sich redlich aber ich fühlte mich unverstanden und war auch nicht sonderlich beeindruckt von seinen künstlerischen Arbeiten (Bilder mit einzelnen kleinen Figuren, umzingelt von nicht näher definierten gemalten Kringeln, Bläschen oder eben "Erbsen"). Was er von mir dachte kann ich nur vermuten, aber ich lief damals rum wie der Roadie von Oasis mit Adidas-Jacke, malte mich selbst und Liv Tyler, gab mir viel Mühe mit der korrekten englischen Aussprache und war ansonsten wohl eher schwer zu ertragen. Ich war damals gerade fünfundzwanzig und Student in Düsseldorf bei einem "Malerfürsten" gewesen.

Das ist alles lange her, aber einiges zeigt seine Wirkung bis in die Gegenwart. Der englische Transgender-Lehrer von damals ist unvergessen. Durch eine gemeinsame Ausstellung haben wir wieder Kontakt. Heute sind wir Freunde und Kollegen. Als Brian Chalkley hat er nie aufgehört zu malen. Letztes Jahr hat er in Düsseldorf eine sehr schöne Ausstellung gemacht, mit Aquarellen von Frauen, denen er Zitate zugeordnet hatte die er in verschiedenen Interviews gefunden hatte. Diese Bilder haben eine eigentümliche Intensität. Man hat das Gefühl, dass alle diese Frauen eine gewisse Sehnsucht in sich tragen, die durch die Ihnen zugeordneten Zitate eher verzerrt wirkt. Irgend etwas passt nicht. Es scheint, als würden diese Frauen sich selbst nicht erkennen können.

Die meisten Bilder, die ich zuletzt gemalt habe, sind gegenstandslos. Ich wollte ohne Ausgangsmaterial wie Fotos oder im WWW vorgefundene Bilder arbeiten, ich wollte eine Malerei, die unabhängiger ist von anderen Bildern (Einflüsse gibt es sowieso und immer). Vorlagen beim Malen sind nicht nur Referenz für Komposition, Stimmigkeit, oder Ähnlichkeit bei darzustellenden Personen, sie suggerieren ganz allgemein eine Struktur, auf die sich der Maler stützen kann wie auf einen Krückstock. Wer darauf verzichtet, stößt auf ungeahnte Freiheit beim Malen, neue Schwierigkeiten, aber auch neue Lösungen. Nach einer Reihe gestischer Bilder, deren immanente Struktur durch den Farbauftrag bestimmt wurde und einer Gruppe von Bildern, die auf Mustern beruhten, die eine Ähnlichkeit mit schottischen Tartans hatten, malte ich eine Reihe schwarzer Tartans (schwarze Querstreifen treffen auf schwarze Längsstreifen), die wiederum ihre farbige Fortsetzung in neuen Bildern finden, deren Fokus noch stärker auf den einzelnen Pinselstrich gerichtet ist.

Die gesamte Leinwand wird eingeteilt in Quer- oder Längsstreifen, jeweils aus breiten Pinselstrichen bestehend. Anschliessend werden diese Streifen wiederum angefüllt mit kleineren, diametral angeordneten Pinselstrichen, parallel aufgebracht. Es gibt Farbverläufe, kleine Übermalungen von darunterliegenden Schichten dunkler Acrylfarbe, aber alles spielt sich nur im Bereich der Pinselstriche ab, dazwischen blitzt die ungrundierte Leinwand hervor. Das Ganze erinnert entfernt an einen Vorhang. Die dunkle Acrylfarbe unter den breiten Pinselstrichen lässt an Umrisse oder Gegenstände denken, hinter dem Vorhang aus Pinselstrichen, ohne das man irgendwas genauer erkennen oder benennen kann. All diese Bilder sind unabhängig von einer Vorlage.

Als Betrachter ist man sicherlich immer versucht Bezüge herzustellen, die Malerei benennbar zu machen, Gegenständliches herauszulesen und sich assoziativ mit dem Sichtbaren auseinanderzusetzen. Manchmal versuche ich auch als Maler das Ungegenständliche wieder dinghaft werden zu lassen, indem ich fiktive Figuren in die Fläche setze um diese zu "animieren". Es kommt mir vor wie eine Form von Lautmalerei, als würde man einen Zungenschlag zum Pinselstrich machen.

Allerdings sind unter den neuen Bildern, die ich für diese Ausstellung gemalt habe auch zwei, die man als ein Doppelportrait verstehen kann. Beide zeigen eine Figur, die in dem einem Bild vor einer Blendenkonstruktion, einer Art Jalousie zu stehen scheint und einen buschigen Schnurrbart hat, wenngleich sie offensichtlich ein Kleid trägt. In dem zweiten Bild ist es eine ganz ähnliche Figur mit Kleid, allerdings in der Darstellung gebrochen durch Streifen, wie durch Lamellen vor einem Fenster, ob Schnurrbart oder nicht ist hier ungeklärt. Der Ursprung dieser Figuren beruht dann doch auf einem alten Familienfoto einer Uroma, im Kleid mit weißem Kragen, breiten, aber leicht hängenden Schultern, regungslos ergeben vor der Kamera posierend, ohne eine Miene zu verziehen. Den Schnurrbart hatte ich schon mit schwarzem Stift auf das Glas vor dem gerahmten Foto gemalt, ähnlich dem, mit dem Duchamp die Mona Lisa auf seinen Postern verzierte. Wenngleich der Bart zuerst wie ein schneller, nicht besonders origineller Witz schien, so hatte ich später das Gefühl, ich hätte etwas in der Person entdeckt, männliche Züge vielleicht, die das Foto, wenn überhaupt, eher unterschwellig erkennen ließ. Vielleicht betrachtet man Schwarzweiß-Fotos mit mehr Distanz, die Beschaffenheit des Fotos mutet schon fast historisch an, weniger Mitgefühl, mehr Objektivität im Blick auf die Generationen entfernte Familie.

Es scheint eine gängige Vorstellung zu sein, dass sich durch Abstraktion in der Malerei Inhalte verstecken oder sublimieren kann. Augenblicklich finde ich diesen Ansatz spannend, weil ich mich lange Zeit mit der Anschaulichkeit des Figurativen in der Malerei beschäftigt habe. Ideen werden auf sehr verschiedene Art und Weise bildhaft. Wir "sprechen in Bildern" und nehmen etwas beim Wort "um uns ein Bild davon machen".
Die beiden kleinen figurativen Bilder zwischen den neuen abstrakten Arbeiten heißen Agnes Dei und Angus Dei. Ein gemaltes Doppelportrait um der Anschaulichkeit willen. Es basiert auf der Idee sich ein Bild zu machen von jemand, der sich nicht auf eine Identität festgelegen ließ. Sei es eine Frau, ein Cross-Dresser oder ein Maler, gekleidet in Streifen.

CQ
August 2012

Cornelius Quabeck (*1974) hat an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Immendorff und dann bei Albert Oehlen und am Chelsea College of Art and Design, London studiert.